Wie der Saarland-Pakt wirkt – und was noch getan werden muss

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Seit gut einem Jahr gilt das Saarlandpaktgesetz. Im Interview erläutert Barbara Meyer-Gluche, Bürgermeisterin und Dezernentin für Finanzen und Nachhaltigkeit in Saarbrücken, welche Erfahrungen sie in dieser Zeit gemacht hat, wo die Stärken der neuen Regelung liegen und welche Schwächen das Verfahren hat. Das kann auch für die Regierung im Nachbar-Bundesland wichtig sein.

Barbara Meyer-Gluche, Bürgermeisterin und Dezernentin für Finanzen und Nachhaltigkeit in Saarbrücken, bilanziert die Erfahrungen des ersten Jahres mit dem Saarlandpaktgesetz. Fotograf: Wolfgang Klauke

Welche Erfahrungen haben Sie seit dem Beschluss des Landtags, also in den vergangenen 14 Monaten, mit dem Saarland-Pakt gemacht?
Das Saarlandpaktgesetz gilt seit dem 1. Januar 2020. Neben der Übernahme eines Teils der strukturellen kommunalen Kassenkredite (rund 50 Prozent) in die Landesschuld, sieht es auch strikte Vorgaben für die Kommunen vor: Vorgaben zum strukturellen zahlungsbezogenen Haushaltsaugleich sowie die verbindliche Rückführung der auf kommunaler Seite verbleibenden Kassenkredite über einen Zeitraum von 45 Jahren. Eine der Besonderheiten beim Saarlandpakt liegt darin, dass eine Übernahme der kommunalen Kassenkredite erst bei deren Fälligkeit geschieht, so dass sich der Übernahmeprozess aufgrund der Fälligkeitsstruktur über mehrere Jahre zieht. Der Übernahmeprozess der Kredite, die die Landeshauptstadt so im Jahr 2020 an das Land abgegeben hat, lief reibungslos.
Auch die Vorgaben des Saarlandpaktes zum Haushaltsausgleich und der Mindesttilgung können wir aller Voraussicht nach in 2020 erfüllen und werden sie voraussichtlich auch im Jahr 2021 noch erfüllen. Das ist möglich, weil der Saarlandpakt zumindest bei der Vorgabe des Haushaltsausgleiches eine gewisse konjunkturelle Bereinigung vorsieht. Es wird eine Normalentwicklung unter anderem der Steuereinnahmen zugrunde gelegt. Grundlage sind die Einnahmen des vorvorangegangenen Jahres beziehungsweise eines Vier-Jahres-Durchschnitts. Mit Blick auf die bereits 2019 absehbare konjunkturelle Eintrübung und erst recht mit Blick auf die zu erwartenden mittel- und langfristigen Auswirkungen der Corona-Krise sehen wir aber bereits heute ab, dass die Einhaltung der Vorgaben in den darauffolgenden Jahren nicht reibungslos wird ablaufen können.

Wie wirkt sich der Saarland-Pakt für Saarbrücken praktisch aus?
Der Saarlandpakt führt zunächst dazu, dass Saarbrücken den Anspruch hat, dass das Land rund 50 Prozent der zum Stichtag 31. Dezember 2017 bestehenden strukturellen kommunalen Kassenkredite in die Landesschuld übernimmt. Strukturell meint hierbei die Kassenkredite, die zur Deckung von Defiziten der laufenden Verwaltungstätigkeit aufgenommen wurden. Absolut bedeutet das für Saarbrücken ein Volumen in Höhe von 376.352.000 Euro, welches die Stadt an das Land abgeben kann. Bezogen auf den Stichtag 31. Dezember 2017 verbessert sich die Stadt infolge der Schuldenübernahme durch das Land von einer Pro-Kopf-Belastung von Liquiditätskrediten in Höhe von 4000 Euro pro Einwohner auf rund 2000 Euro pro Einwohner, was immer noch eine doppelt so hohe Belastung ist wie im Landesschnitt und viermal so hoch wie im Bundesschnitt. Der Entlastungseffekt tritt auch nicht sofort ein, sondern erst nach und nach. Denn die Kredite werden vom Land nach Fälligkeiten übernommen. In Saarbrücken wird der komplette Entlastungseffekt daher voraussichtlich erst in 2025 eintreten.
Im Gegenzug muss Saarbrücken spätestens ab 2024 den strukturellen zahlungsbezogenen Haushaltsausgleich herbeiführen und die bei der Stadt verbleibenden Kassenkredite zurückführen, für Saarbrücken bedeutet dies aus heutiger Sicht eine Mindesttilgung zwischen 6,5 Millionen Euro und 9,9 Millionen Euro jährlich. Da die Vorgabe in Analogie zu einem Annuitätendarlehen berechnet wird, steigt dieser Betrag jährlich an. Abweichungen sind zwar grundsätzlich zulässig. Kreditaufnahmen zur Finanzierung von Fehlbeträgen in schlechten Jahren sind aber zusätzlich zu tilgen. Der Saarlandpakt enthält auch eine investive Komponente. Bei Einhaltung der Vorgaben des Saarlandpaktes erhalten die Kommunen jährlich 20 Millionen Euro an Investitionszuweisungen, wobei hiervon fünf Millionen Euro für diejenigen Kommunen vorgesehen sind, die von der Übernahme von Kassenkrediten nicht so viel profitieren, weil sie keine oder wenige Kassenkredite haben. Saarbrücken erhält einen Anteil an den 15 Millionen Euro, absolut sind es jährlich 2,4 Millionen Euro. Bei einem Gesamtinvestitionsvolumen von rund 35,5 Millionen Euro sind somit circa 6,7 Prozent durch diese Zuschüsse gedeckt.

Ist der Saarland-Pakt auch für andere Länder eine Möglichkeit?
Der Saarlandpakt stellt in jedem Fall eine Möglichkeit für Länder dar, die eine kommunale Kassenkreditproblematik haben. Die Vorteile des Konstrukts für die Länder liegen darin, dass die Übernahme von Schulden anstelle von Ausgleichszahlungen an die Kommunen unmittelbar neutral für die Neuverschuldung des Landes ist. Mit Ausnahme der zusätzlichen Zinsbelastung für die übernommenen Schulden (und der zusätzlich im Saarlandpakt vorgesehenen Investitionszuweisungen) hat die Übernahme auch keine Auswirkung auf die Einhaltung der Vorgaben der Schuldenbremse. Der Saarlandpakt war wohl auch Vorbild für das von Bundesfinanzminister Scholz entwickelte Konzept einer Altschuldenübernahme durch den Bund. Dessen Umsetzung in Ergänzung zum Saarlandpakt wäre nach wie vor möglich und sehr zu wünschen.

In welchem Kontext war das Land zum Pakt bereit?
Die kommunalen Kassenkredite hatten im Saarland Ende 2017 einen Stand von rund zwei Milliarden Euro beziehungsweise 2000 Euro pro Einwohner erreicht. Es gab damit einen großen Handlungsdruck – vor allem mit Blick auf die Unsicherheit über die weitere Entwicklung des Zinsniveaus. Gleichzeitig eröffnete sich durch die neue Bundesergänzungszuweisung zum Ausgleich einer geringen Gemeindefinanzkraft innerhalb der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen eine neue finanzielle Handlungsoption auf Landesseite. Die Einnahmen aus dieser Bundesergänzungszuweisung konnten für die entsprechende zusätzliche Zinsbelastung und die zusätzlichen Investitionszuweisungen im Landeshaushalt eingeplant werden. Das Land war allerdings nur dazu bereit, wenn im Gegenzug ein weiterer Anstieg der Kassenkredite auf kommunaler Ebene verhindert wird, das heißt wenn der strukturelle zahlungsbezogene Haushaltsausgleich sowie ein verbindlicher Abbaupfad der auf kommunaler Ebene verbleibenden Kassenkredite festgelegt wird.

Welche Schwächen oder Nachteile hat der Saarland-Pakt?
Die Verpflichtung der kommunalen Seite, die bei ihnen verbleibenden Kredite in einem festgelegten Tilgungsplan zurückzuführen, stellt die Kommunen trotz des langen Zeitraums vor eine Mammutaufgabe, es wird die Kommunen weiterhin bei Investitionen hemmen und darin, im Vergleich zu den Lebensverhältnissen in anderen Kommunen aufzuholen. Die Altschuldenproblematik ist durch die hälftige Übernahme durch das Land eben zunächst nur zur Hälfte gelöst. Ein weiterer Nachteil des Saarlandpaktes besteht darin, dass er über einen so langen Zeitraum läuft, so dass seine Verwirklichung weit in der Zukunft liegt. Den Erfolg wird man erst in 45 Jahren feststellen können, die Wahrscheinlichkeit, dass er über einen so langen Zeitraum Bestand haben wird, muss als gering eingeschätzt werden. Eine Schwäche liegt auch darin, dass der Entlastungseffekt des Saarlandpaktes aus der Schuldenübernahme nicht sofort eintritt. Bei dem aktuellen Zinsniveau von null oder nahe null, ergibt sich aus Sicht der Kommunen zumindest kurzfristig kaum ein greifbarer finanzieller Vorteil. Allerdings vermindert er die Risiken aus einem Zinsanstieg.

Wie hat Corona die Voraussetzungen des Paktes beziehungsweise deren Erfüllbarkeit verändert?
Die Corona-Krise und ihre Auswirkungen auf die kommunalen Einnahmen ändern ein Stück weit die Geschäftsgrundlage für den Saarlandpakt. Niemand ging bei Verabschiedung des Saarlandpaktgesetzes und der strikten Vorgaben auf kommunaler Seite für den strukturellen zahlungsbezogenen Haushaltsausgleich und die zu erbringenden Mindesttilgung von einem Ereignis wie der Corona-Pandemie und dem damit verbundenen Einbruch bei den Steuereinnahmen aus. Das Land hat von der im Saarlandpaktgesetz vorgesehenen außergewöhnlichen Notsituation, die die Regularien aussetzen würden, bisher keinen Gebrauch gemacht. Stattdessen hat das Land neben den Hilfen in 2020 auch bereits für 2021 und 2022 großzügige Hilfen zugesagt, wie die Übernahme der hälftigen Ausfälle bei Gewerbe- und Einkommenssteuer, das Einfrieren des Kommunalen Finanzausgleiches auf „Vor-Corona-Niveau“ sowie einen weiteren Festbetrag an die Kreise für Bezieher von Kosten der Unterkunft. Im Gegenzug wird an den beschriebenen Vorgaben des Saarlandpaktes aber nicht gerüttelt.
Es ist fraglich, ob wir trotz dieser Hilfen unter den jetzigen Rahmenbedingungen die Vorgaben werden einhalten können. Nach unserer jetzigen Finanzplanung werden wir unter diesen Rahmenbedingungen bis zum Jahr 2025 rund 60 Millionen Euro an Kassenkrediten neu aufnehmen müssen. Das ist zwar nach Saarlandpaktgesetz zunächst gestattet, sie müssen dann laut Gesetz aber in den kommenden Jahren zusätzlich zur Mindesttilgung zurückgeführt werden, was unsere Handlungsmöglichkeiten noch mehr einschränkt.

Was muss noch getan werden, damit das Altschuldenproblem der Kommunen im Saarland wirklich gelöst ist?
Der Saarlandpakt sieht lediglich eine hälftige Übernahme der kommunalen Altschulden vor. Er löst das kommunale Altschuldenproblem daher zunächst nur zur Hälfte. Nach Übernahme durch das Land hat Saarbrücken weiterhin einen Kassenkreditbestand von rund 2000 Euro pro Einwohner! Um wirklich gleichwertige Lebensverhältnisse zu erreichen, muss das Problem gänzlich gelöst werden. Es kann nicht sein, dass die saarländischen Kommunen erst in 45 Jahren – sofern alles so läuft wie geplant – in eine Situation kommen, in der sie keine Kassenkredite mehr haben. Die Kommission Gleichwertige Lebensverhältnisse hat klar ergeben, dass der Bund die kommunale Kassenkreditproblematik mit verursacht hat. Er muss seiner Verantwortung gerecht werden und die andere Hälfte der kommunalen Kassenkredite übernehmen. Zur Hälfte das betroffene Land und zur Hälfte der Bund – das wäre ein gangbares und gerechtes Modell zur Lösung der Altschuldenproblematik. Die Erhöhung des Bundesanteils an den Kosten der Unterkunft ist ohne jeden Zweifel gut und wichtig. Sie löst aber nicht das Problem der hohen Altschulden in vielen deutschen Kommunen.

Wie unterscheidet sich der Saarland-Pakt von der Hessen-Kasse?
Ohne die Hessen-Kasse in jedem Detail zu kennen, gibt es nach meiner Kenntnis einige Unterschiede. Hessen löst die kommunalen Kassenkredite im Vergleich zum Saarland nicht nur zur Hälfte, sondern vollständig ab, wobei auch die Kommunen in Hessen einen Eigenanteil zu tragen haben, nämlich über 30 Jahre 25 Euro pro Jahr und Einwohner. Das entspricht etwa einem Drittel der Zins- und Tilgungsbelastung, die die hessischen Kommunen hätten. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass die Übernahme in Hessen nicht wie im Saarland nach und nach, also erst bei Fälligkeit eines Kredits geschieht, sondern das Land Hessen direkt in die Kreditverträge der Kommunen eingestiegen ist, so dass in Hessen der Entlastungseffekt kurzfristiger spürbar ist.

Mit Blick auf das Urteil des Verfassungsgerichts in Rheinland-Pfalz:  Würden Sie der Landesregierung im Nachbar-Bundesland eher das saarländische oder das hessische Modell zur Nachahmung empfehlen?
Aus dem Urteil des Verfassungsgerichts lässt sich aus meiner Sicht keine Präferenz der Verfassungsrichter für ein bestimmtes Modell ableiten. Sie mahnen in dem Urteil an, dass die Landesregierung die Kommunen in die Lage versetzen muss, die Kassenkredite abzubauen und so dauerhaft zu einem Haushaltsausgleich zu finden. „Ohne die Bereitstellung von Mitteln zu diesem Zweck sei dies nach wie vor ausgeschlossen“, so die Verfassungsrichter. Es ist eindeutig, es braucht eine Lösung, wie auch immer diese im Detail aussieht. Der Vorteil des Modells des Saarlandpaktes liegt darin, dass der Bund mit einer möglichen Altschuldenhilfe relativ problemlos anknüpfen könnte. Das Modell des Saarlandpaktes ist ein Stück weit ein Signal, dass auch der Bund eine Verantwortung trägt und er sich an der Problemlösung beteiligen soll.