Die wichtigsten Fragen und Antworten

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Was ist das Problem?
Viele Städte und Kreise in Deutschland leiden unter erheblichen Schulden aus Liquiditätskrediten. Das ist eine Art „Überziehungskredit“ (Dispo), wie sie auch jeder Privathaushalt kennt. Entgegen einer weit verbreiteten Ansicht liegt das nicht daran, dass Kommunen nicht mit Geld umgehen können. Die Ursache liegt viel mehr in einem strukturellen Problem.

Die Kurzfassung: Strukturschwache Kommunen haben zwei Schwierigkeiten auf einmal. Sie müssen mehr für soziale Leistungen ausgeben, weil sie mehr Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger haben. Und sie nehmen weniger ein, weil sie weniger Gewerbesteuer zahlende Unternehmen und Einkommensteuer zahlende Einwohner auf ihrem Gebiet haben.

Die Langfassung: Bereits in den 1970er und 1980er Jahren war zu beobachten, dass die Sozialausgaben massiv ansteigen. Diese Ausgaben mussten die Städte und Kreise leisten, weil der Bund und die Länder ihnen diese Aufgaben übertragen haben. Die Einnahmen aus Steuern und Schlüsselzuweisungen wuchsen nicht im selben Maße. Kommunen erhalten Geld aus der Grund- und der Gewerbesteuer, Anteile aus der Einkommen- und der Umsatzsteuer sowie Zuweisungen des jeweiligen Bundeslandes. Das heißt: Bund und Länder haben die Kommunen zu bestimmten Auf- und Ausgaben verpflichtet, aber nicht dafür gesorgt, dass sie genug Geld haben, um diese Auf- und Ausgaben auch stemmen zu können. Die Städte mussten Kredite aufnehmen, um die laufenden Ausgaben zu finanzieren. Zudem haben sie andere Leistungen (zum Beispiel Kultur und Sport) und Investitionen (zum Beispiel in Schulen, Straßen, Radwege) gekürzt oder ganz gestrichen, dazu haben sie die kommunalen Abgaben erhöht, zum Beispiel die Gebühren und die Grundsteuer B sowie die Gewerbesteuer. Damit wurden die Städte und Kreise unattraktiver für Menschen und Unternehmen, die eine neuen Wohn- oder Standort suchten – und die Spirale drehte sich weiter abwärts.

Der Bund und die Länder haben diese Entwicklung lange hingenommen, auch indem sie die Verantwortung jeweils dem anderen zugeschoben haben.

Wie haben sich die Schulden entwickelt?
Kommunen haben bereits im 20. Jahrhundert Schulden aufnehmen müssen, zunächst Investitions-, später Liquiditätskredite. Dadurch entstanden schon erhebliche Belastungen. In den 2000er Jahren verschärften vier Entwicklungen die Lage:

  1. Infolge der Steuerreform 2001 kam es zu massiven Steuerausfällen – bei weiter steigenden Ausgaben. Um diese Pflichtaufgaben im Sozialbereich weiter erfüllen zu können, mussten die Kommunen weitere Liquiditätskredite aufnehmen.
  2. Um die Zinsen der bis dahin schon aufgenommenen Liquiditätskredite bezahlen zu können, mussten die Kommunen noch mehr neue Kredite aufnehmen.
  3. Eine Verdoppelung der Zinsen von Ende 2005 bis Ende 2008 verteuerte diese Finanzierung zusätzlich.
  4. Die Bankenkrise verschärfte die Probleme noch einmal, weil die Einnahmen der Kommunen (etwa aus der Gewerbesteuer) sanken und die Ausgaben im Sozialbereich stiegen.

Welche Folgen hat das beschriebene strukturelle Problem?
1. Die betroffenen Kommunen müssen einen wesentlichen Teil ihres Geldes in die Schuldentilgung stecken. Wenn sie dank großer Sparanstrengungen Überschüsse erwirtschaften, fließen diese in die Tilgung. Wenn sie, wie in der Corona-Krise, Unterstützung vom Bund erhalten, wirkt dies nicht wie in andere Kommunen, weil viel Geld in die Tilgung geht. Während andere in Klimaschutz, Straßen, Radwege, Digitalisierung investieren und sich ein großes Kulturangebot leisten können, können die von Altschulden betroffenen Kommunen dies nicht.

2. Zu den Instrumenten, die die Kommunen selbst in der Hand haben, gehören die Hebesätze „ihrer“ Steuern. Sie können und müssen also die Gewerbe- oder die Grundsteuer erhöhen, um so mehr einzunehmen, dies verlangen auch die Aufsichtsbehörden. Sie werden damit aber im Vergleich zu anderen Kommunen spürbar unattraktiver für Unternehmen und Menschen, die bauen möchten.

3. Daher besteht keine Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in den Kommunen mehr. Arme Kommunen müssen zum Beispiel höhere Gebühren für die Kindertagesstätten nehmen als reiche Städte

4. Wenn Kommunen vor Ort nicht mehr gestalten können, dann gerät Demokratie in Gefahr.

Was wurde bisher getan, um das Problem zu lösen?
1. Die Kommunen haben in den vergangenen Jahren enorme Sparanstrengungen unternommen und ihren Bürger einiges abverlangen müssen.

2. Der Bund hat in den vergangenen Jahren schrittweise seine Beteiligung an den kommunalen Sozialausgaben erhöht (zum Beispiel vollständige Übernahme der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, Erhöhung des Anteils an den Kosten der Unterkunft) und Investitionsförderprogramme für Kommunen aufgelegt.

3. Die Flächenländer kamen – in unterschiedlicher Form – den finanzschwachen Kommunen mit finanziellen Hilfen ebenfalls entgegen.

4. Auch dank der günstigen Rahmenbedingungen (Niedrigzinsphase, hohe Beschäftigung) stieg das Volumen der Kredite ab 2015 nicht mehr, 2017 konnte es sogar leicht reduziert werden. Damit wurde das Problem der Unterfinanzierung gemindert, die Kommunen leiden aber weiter unter den Lasten der Vergangenheit.

Wie kann das Problem auf Dauer gelöst werden?
Die Kommunen brauchen Zweierlei:

  1. Sie müssen von der Last der Altschulden befreit werden. Eine finale Lösung des Altschuldenproblems erfordert als Ausgleich für die frühere Unterfinanzierung eine Beteiligung des Bundes und der jeweils betroffenen Länder. Ohne eine finale Lösung wird der Neustart nicht gelingen. Diese finale Lösung könnte ein Schuldenschnitt oder ein Altschuldenfonds sein.
  2. Sie müssen vom Bund und den Ländern eine angemessene Finanzausstattung erhalten. Was heißt das? Die Kommunen müssen so viel Geld erhalten, dass sie ihre von Bund und Ländern auferlegten Pflichtaufgaben bezahlen können und darüber hinaus auch noch ein Betrag übrigbleibt, mit dem sie die Aufgaben wahrnehmen können, die aus ihrer Sicht auch wichtig sind. Das sind zum Beispiel der Betrieb von Büchereien und Musikschulen, die Förderung des Sports und sonstiger bürgerschaftlicher Aktivitäten, ebenso Investitionen in Kitas, Schulen, Infrastruktur und Klimaschutz. Gerade hiervon lebt die Kommune und ihre Selbstverwaltung.

Kommunen sind deshalb nicht gierig, sondern es geht um die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, wie sie in Artikel 72 des Grundgesetzes gefordert werden. Es kann nicht sein, dass Kommunen wegen des strukturellen Problems alles Geld in die Schuldentilgung stecken müssen und nicht in die Zukunft investieren können, also noch weiter abgehängt würden.

Warum wurde das Problem noch nicht gelöst?
Nicht alle Bundesländer sind von Altschulden betroffen. Diejenigen, in denen der wirtschaftliche Strukturwandel die Wirtschafts- und Einkommensgrundlage der Menschen nicht so stark zerstört hat, oder die sogar vom Wandel profitiert haben, haben kaum oder keine Kommunen mit diesem Problem, und unterstützen die genannten Lösungen leider nicht. Dies hat im Jahr 2020 dazu geführt, dass ein Vorschlag des Bundesfinanzministers keine Mehrheit fand. Er wollte einen Teil der Altschulden über den Bundeshaushalt lösen, den anderen Teil sollten die Länder übernehmen. Weil die nicht betroffenen Länder diesen Weg blockiert haben, hat der Bund stattdessen seinen Anteil an den so genannten Kosten der Unterkunft deutlich erhöht. Städte mit hoher Arbeitslosigkeit müssen besonders viel für die Kosten der Unterkunft ausgeben, ihnen hilft also der erhöhte Anteil des Bundes auch besonders. Die Kommunen haben dadurch mehr Spielraum in ihren Etats bekommen. Das strukturelle Problem aber ist nicht gelöst.

Was ist das Aktionsbündnis „Für die Würde unserer Städte“?
Ein Zusammenschluss von 69 Städten und Kreisen aus acht Bundesländern, die besonders von dem strukturellen Problem betroffen sind. In diesen Kommunen leben rund 8,7 Millionen Menschen. Das Bündnis macht die Verantwortlichen auf Bundes- und Landesebene auf das Problem aufmerksam und möchte mit ihnen eine der genannten Lösungen erarbeiten. Ein wichtiger Erfolg für das Bündnis war dabei, dass der Bundestag im Jahr 2015 und der Bundesrat im Jahr 2016 eine Plenardebatte zum Problem der finanzschwachen Kommunen und zur Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse geführt haben. Dabei wurde erstmals von einer breiten Mehrheit auch die Belastung der Kommunen mit sozialen Leistungen als eine zentrale Ursache des kommunalen Finanzproblems anerkannt. Die zusätzlichen Finanzhilfen sind ein Ergebnis auch der Bemühungen des Bündnisses.

Wer steht hinter dem Aktionsbündnis „Für die Würde unserer Städte“?
Die Oberbürgermeister*innen, Bürgermeister*innen, Landräte und Kämmerer*innen aus Bacharach, Bad Schmiedeberg, Bischofsheim, Bochum, Bottrop, Castrop-Rauxel, Cottbus, Cuxhaven, Dietzenbach, Dinslaken, Dorsten, Dortmund, Duisburg, Ennepe-Ruhr-Kreis, Essen, Frankenthal, Geestland, Gelsenkirchen, Ginsheim-Gustavsburg, Gladbeck, Hagen, Hamm, Hattingen, Herne, Herten, Kaiserslautern, Koblenz, Krefeld, Lahnstein, Leverkusen, Löhne, Ludwigshafen, Lünen, Mainz, Mayen, Mettmann, Moers, Mönchengladbach, Mörfelden-Walldorf, Mülheim an der Ruhr, Neustadt an der Weinstraße, Neuwied, Oberhausen, Obertshausen, Oer-Erkenschwick, Offenbach, Pirmasens, Recklinghausen, Kreis Recklinghausen, Remscheid, Saarbrücken, Salzgitter, Schwerin, Schwerte, Solingen, Trier, Kreis Unna, Voerde, Völklingen, Waldbröl, Waltrop, Werne, Wesel, Kreis Wesel, Witten, Worms, Wülfrath, Wuppertal und Zweibrücken.

Wer repräsentiert das Aktionsbündnis?
“Für die Würde unserer Städte” hat neun Sprecherinnen und Sprecher: Dr. Rico Badenschier, Oberbürgermeister der Stadt Schwerin, Dirk Glaser, Bürgermeister der Stadt Hattingen, Burkhard Mast-Weisz, Oberbürgermeister der Stadt Remscheid, Prof. Dr. Uwe Schneidewind, Oberbürgermeister der Stadt Wuppertal, Markus Zwick, Oberbürgermeister der Stadt Pirmasens, Barbara Meyer, 1. Bürgermeisterin und Kämmerin der Stadt Saarbrücken, Andrea Pospich, Kämmerin der Stadt Cuxhaven, Christoph Gerbersmann, Erster Beigeordneter und Stadtkämmerer der Stadt Hagen und Martin Murrack, Stadtdirektor und Stadtkämmerer der Stadt Duisburg.